05.10.2025
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100 Tage Bundesregierung: Wo bleibt die strategische Ausrichtung auf Open Source Software?

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Am 14. August 2025 ist die Bundesregierung seit 100 Tagen im Amt. Sie ist mit dem Versprechen angetreten, gleich zu Beginn der Wahlperiode entscheidende Weichen zu stellen und grundlegende Veränderungen anzustoßen. Anders, als es die Verabredungen im Koalitionsvertrag vermuten lassen, wurden die Themen digitale Souveränität und Open Source Software dabei allerdings bisher nicht vorangetrieben.

Eine strategische Ausrichtung auf Open Source Software oder ein Open-Source-Schwerpunkt im Digitalministerium sind bei den bisherigen Aktivitäten der Großen Koalition nicht zu erkennen und bleiben zunächst Lippenbekenntnisse. Nach 100 Tagen Amtszeit sind noch keine weitreichenden Ergebnisse zu erwarten. Es ist ernüchternd, dass bei den Initiativen, die die Große Koalition bisher gestartet hat, Open Source Software praktisch keine Rolle spielt.

Bundeshaushalt: „Rekordinvestitionen“ – aber nicht für Open Source Software

Laut Bundesfinanzminister Klingbeil hat die Bundesregierung vor, mit dem Bundeshaushalt 2025 „Rekordinvestitionen“ zu tätigen, schwerpunktmäßig u.a. bei der Digitalisierung. Am Bereich digitale Souveränität und Open Source gehen diese Rekordinvestitionen allerdings komplett vorbei, dabei sichert gerade Open Source Software die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Staat und Wirtschaft und ermöglicht einen Ausweg aus bestehenden Abhängigkeiten.

Die Bundesregierung finanziert ihre eigenen Open-Source-Projekte wie das Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS), openCode oder openDesk nur mit Minimalbeträgen – und macht es damit nicht besser als die Vorgänger-Regierungen. Die Mittel reichen kaum aus, um den normalen Betrieb zu sichern, die Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten Ziele erscheint so äußerst fragwürdig. Das ZenDiS beispielsweise bräuchte mindestens 30 Millionen Euro pro Jahr um die vorgegebenen Projekte auf die Straße zu bringen, im Haushalt sind gerade mal 2,6 Millionen Euro vorgesehen. Die im Koalitionsvertrag angekündigte „strategischen Ausrichtung des IT-Budgets“ und „ambitionierten Zielen für Open Source“ wird so nicht erkennbar.

Mit der Vergabereform die digitale Souveränität stärken

Das Bundeskabinett hat am 6. August 2025den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge beschlossen. Die Bundesregierung will damit die öffentliche Beschaffung „einfacher, schneller und flexibler“ gestalten, die Wettbewerbsfähigkeit stärken, die Digitalisierung beschleunigen und die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-Ups an Ausschreibungen erhöhen.

Damit wäre das Vergabebeschleunigungsgesetz das perfekte Werkzeug, um gleich mehrere Ziele aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen: Die „ambitionierten Ziele“ für den Einsatz von Open Source Software können nur über das Vergaberecht auch tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Und auch die Absicht, „den Staat zum Ankerkunden für die digitale Wirtschaft“ zu machen, um die digitale Souveränität zu stärken, benötigt für die Umsetzung entsprechende Regelungen im Vergaberecht. Die Open Source Business Alliance fordert daher eine „Open Source by Default“ Regelung im Vergaberecht. Der Gesetzentwurf enthält allerdings bisher keine derartige Vorgabe.

Dabei brauchen deutsche IT-Unternehmen dringend Planungssicherheit und die Gewissheit, dass die Bundesregierung es ernst damit meint, Open Source Software zum Standard in der öffentlichen Verwaltung zu machen. Dann ist es für sie auch attraktiv und wirtschaftlich lohnenswert, ihr Angebot noch stärker auf Open Source Software auszurichten. Der Bundestag hat im Gesetzgebungsverfahren die Chance, den Gesetzentwurf noch nachzubessern.

Deutschland-Stack

Im Digitalministerium wird derzeit an einem „interoperablen und europäisch anschlussfähigen souveränen Deutschland-Stack“ gearbeitet. Bisher ist wenig darüber bekannt, was hier genau entstehen soll – und auch ein klares Bekenntnis zu Open Source Software fehlt aus unserer Sicht bisher. Doch nur, wenn der Deutschland-Stack mit Open Source, offenen Standards und interoperablen Lösungen umgesetzt wird, trägt er wirklich zur digitalen Souveränität bei.

Damit ein leistungsfähiger Deutschland-Stack aufgebaut werden kann, benötigt die IT-Industrie einen verbindlichen Satz von Komponenten, Regeln und Standards, sowohl im technischen Bereich als auch auf der Business-Seite. Das gibt der Wirtschaft die verlässliche Planbarkeit, dass ihre Lösungen für Konsumenten aus der Verwaltung einfach bezieh- und einsetzbar sind, wenn diese vorgegebenen Regeln eingehalten werden. Zu diesen konkreten Vorgaben muss Open Source gehören.

Die Standards und Regeln sollten in einem leichtgewichtigen, öffentlichen Prozess zusammen mit der Wirtschaft festgelegt werden, so dass so weit wie möglich vorhandene Technologien und Produkte verwendet werden können, die sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zur Anwendung kommen.

Was die Bundesregierung jetzt tun muss

Peter Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance – Bundesverband digitale Souveränität e.V.:
„Gerade vor dem Hintergrund der geopolitischen Krisen und der dringend erforderlichen stärkeren Eigenständigkeit Europas sind unsere Abhängigkeiten von proprietären Software-Anbietern eine ernsthafte Bedrohung für unseren Staat, unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit. Open Source Software ist in dieser Situation kein Nice-to-Have, sondern die Voraussetzung für digitale Souveränität, eine funktionierende Verwaltung und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Daher muss die Bundesregierung bei ihren Maßnahmen einen klaren Schwerpunkt auf Open Source setzen.

Wir erwarten zwar nicht, dass die Bundesregierung bereits nach 100 Tagen alle Probleme gelöst hat, aber es sollten wenigstens die richtigen Ansätze sichtbar sein – das ist leider nicht der Fall. Open Source Software ist bisher unglücklicherweise kein Schwerpunkt der Großen Koalition, stattdessen werden den US-amerikanischen Big-Tech-Unternehmen weiter Milliarden an Steuergeldern überwiesen und damit bestehende Abhängigkeiten gefestigt.

Dabei ist klar, was jetzt getan werden muss: Die Bundesregierung muss im Digitalministerium einen strategischen Schwerpunkt auf Open Source Software setzen (z.B. mit einer eigenen Open-Source-Strategie), die im Koalitionsvertrag angekündigten „ambitionierten Ziele“ für Open Source definieren und umsetzen. Also im Haushalt die bundeseigenen Open-Source-Projekte ausreichend finanzieren, beim Vergabebeschleunigungsgesetz mit einer „Open Source by Default“ Regelung dafür sorgen, dass die Weichen für eine Open-Source-Transformation der Verwaltung gestellt werden, und Open Source Software im Deutschlandstack verankern, um Gestaltungsfähigkeit und Kontrollierbarkeit der Software zu sichern.“

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